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Suffizienz in Unternehmen – eine Frage des Wollens und des Sollens

In der Blog-Serie zum Purpose- und gemeinwohlorientierten Wirtschaften spricht der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft mit Expert:innen zu den Themen Gemeinwohlökonomie, Postwachstum & Suffizienz.

Purpose BNWPurpose

Der folgende Beitrag ist ein Gastbeitrag, der im Rahmen des "BNWPurpose" Projekts veröffentlicht wurde. Wie konsequentes suffizientes Wirtschaften in der Praxis aussehen kann, beschreibt Jana Gebauer (Die Wirtschaft der Anderen) in ihrem Artikel am Beispiel der Richard Henkel GmbH.

Jana Gebauer: Im Interview für #BNWPurpose beschreibt Dr. Maike Gossen (TU Berlin) Marketingpraktiken von Unternehmen, die suffizientes Konsumhandeln fördern. Darin mahnt sie an, dass diese Praktiken mit einem gesamthaft suffizienten Unternehmenshandeln einhergehen müssten. Und sie verweist auf wachstumskritische Unternehmen, die Inspiration für eine solche konsequent suffiziente Aufstellung liefern könnten.

Die Richard Henkel GmbH ist ein hundertjähriges Familienunternehmen, das heute von den Geschwistern Susanne und Kai Henkel geführt wird. Mit bis zu 50 Mitarbeiter:innen ist das fränkische Unternehmen eher klein und es spricht mit seinen Stahlrohrmöbeln und Oberflächenbehandlungen recht spezielle Kundensegmente an. Wohl auch deswegen ist es weit weniger bekannt als die von Maike genannten Beispiele Vaude oder Patagonia. Bekanntheit erlebte Susanne Henkel allerdings auch als zweischneidiges Schwert: Vor gut zehn Jahren erregte sie mit der Aussage, den Umsatz begrenzen und gar nicht wachsen zu wollen, so viel Aufsehen, dass sie Interviewanfragen bald abblocken musste, um noch arbeiten zu können. Dabei geht sie mit Leidenschaft in die direkte Kommunikation. Und das besonders gern mit anderen Unternehmen, die noch überzeugt werden müssen. Wovon? Endlich auch Verantwortung für die Umweltwirkungen des eigenen Handelns zu übernehmen, weil genau das notwendig, gerecht und vernünftig ist.

Ihr Großvater und Unternehmensgründer Richard Henkel stellte zu Beginn noch Jutesäcke, dann Juteplanen für LKWs und schließlich auch die Metallgestelle her, um die Planen aufzuspannen. Aber bei einem Kuraufenthalt spürte er am eigenen Leib den Bedarf an guten Liegen für den Gesundheitsbereich und machte sich an die Entwicklung. Die Metallgestelle erwiesen sich als praktisch für das Liegendesign. Und die Kunststoffschnüre, die zuvor die Planen an den Gestellen befestigten, boten sich als Bespannung der Liegen an. Die Gesundheits-Sitzliege „Henkel Ideal“ wird seit Markteinführung Mitte der 1950er Jahre produziert und mit ihr weitere Möbel aus Stahlrohr. Sie finden sich in Kur-, SPA- und Wellnessanlagen, in Altenpflegeheimen, Kliniken und Hotels, aber auch in privaten Gärten und Saunen. Die Veredelung der Metalloberflächen durch Schleifen, Strahlen und vor allem Pulverbeschichtung weitete Richard Henkels Sohn Uwe zu einem eigenen Geschäftsbereich aus – seit 1980 bietet das Unternehmen Lohnbeschichtung als Dienstleistung für Industriekunden aus der Flugzeug-, Automobil-, Medizin- und Klimatechnik an.

Bei Henkel ging es von Beginn an um funktionale, langlebige und reparaturfähige Produkte, um möglichst wenig Ressourcen einsetzen zu müssen. Als Susanne Henkel in den 1990er Jahren die Geschäftsführung übernahm, zog sie nicht nur weitere Grenzen für Umweltbelastung und -verbrauch ein, sondern auch für das Unternehmenswachstum selbst. Damit wollte sie auch den starken Markt- und Preisdynamiken der Branche entgegenwirken. Sie setzte auf „inneres Wachstum“ und stärkte Ressourceneffizienz und Kreislaufführung in allen Bereichen des Unternehmens; in der Möbelsparte ersetzen Reparatur und Überarbeitung mittlerweile einen guten Teil der eigentlichen Produktion. Diese Anstrengungen sind auch notwendig, denn die Prozesse eines metallverarbeitenden Unternehmens sind natürlich im Grunde sowohl material- als auch besonders energieintensiv.

Herzstück und größter Energieverbraucher in Henkels Produktion ist die Pulverbeschichtungsanlage, die jedes Produkt, ob fremd oder eigen, durchläuft. Sie besteht aus mehreren Modulen wie der Pulverkabine, den Lackieröfen und der 400 Meter langen Fördertechnik. Für Henkel liegt hier damit auch das größte Einsparpotenzial. Zusammen mit anderen Unternehmen tüfteln die Henkels daher kontinuierlich an Verbesserungen. Mit Erfolg: In den letzten 20 Jahren wurde der Energieverbrauch des Unternehmens mehr als halbiert. Anders als in wachstumsorientierten Unternehmen werden die Effizienzgewinne bei Henkel tatsächlich eingespart und nicht direkt etwa für eine Ausweitung oder Diversifizierung der Produktion ausgegeben. Wobei finanziell gesehen im Energiebereich aufgrund der steigenden Preise und Abgaben kaum etwas von den Einsparungen übrigbleibt. Finanzielle Effizienzgewinne entstehen vor allem beim Materialeinsatz und werden reininvestiert: in weitere ökologische Optimierung oder in Maßnahmen für die Mitarbeiter:innen.

Die Richard Henkel GmbH war Praxispartnerin im BMBF-geförderten Projekt „Ganzheitliches Management von Energie- und Ressourceneffizienz in Unternehmen“ (MERU), in dem für den besseren Umgang mit Rebound-Effekten auch Handlungsempfehlungen für Wirtschaft, Verbände und Politik abgeleitet wurden.

Zum MERU-Projekt

Welche Einsparmaßnahmen ergriffen werden, ergibt sich aus den Zahlen. Bei Henkel wird viel gemessen und geprüft: Wo gibt es die größten Verbräuche, unerwartete Verschlechterungen oder starken Verschleiß? So wurde auch die abnehmende Isolierung der Öfen entdeckt. Die bestand aus Styropor und zerbröselte unsichtbar in den Doppelschichten der Wände. Das machte sich neben der erhöhten Hallentemperatur auch daran bemerkbar, dass die Motoren der Anlage immer häufiger ausfielen und ersetzt werden mussten. Wärmebildkameras zeigten, dass und wo zu viel Hitze entwich. Die Isolierung zu erneuern, war vom Hersteller allerdings nicht vorgesehen, nur der Abriss und Neubau der Öfen oder Wände. Teuer natürlich – und eben auch ressourcenintensiv. Susanne Henkel forschte in ihren Netzwerken nach, fand effektiveres, langlebigeres und umweltfreundlicheres Material aus dem AKW-Bereich, verklebte es bedarfsgenau auf den alten Öfen und verliert seither weder Motoren noch ständig Energie.

Derart durchschlagend ist der Erfolg jedoch nicht immer: So werden die ebenfalls mit viel Eigensinn gegenüber dem Anlagenbauer erreichten Verbesserungen an der Fördertechnik leider großenteils wieder aufgezehrt, und zwar dadurch, dass die zu transportierenden Fremdprodukte immer schwerer und damit energieziehender werden. Und auch an anderer Stelle können Maßnahmen, die zur Verbesserung gedacht sind, manchmal nur drohende Verschlechterungen begrenzen: Eigentlich sollen Henkels Maschinen ewig halten – dafür werden sie gepflegt, gewartet, upgedatet. Aber der Hersteller der Pulverkabine hatte die Technik umgestellt und Ersatzteile für Reparaturen waren nicht mehr zu bekommen. Damit musste die gesamte Kabine ersetzt werden. Allerdings war die neue Technik deutlich ineffizienter als die alte. Ein No-Go für Susanne Henkel, die daraufhin mit einem Unternehmer aus der Region eine Kabine entwarf, die die Verschlechterung zumindest deutlich begrenzen, wenn auch nicht aufhalten konnte.

Ein Blick in Henkels Umwelt- und Nachhaltigkeitsberichte zeigt, welche umfassenden und absoluten, nicht nur relativen Verbesserungen über die Jahrzehnte erreicht wurden. Auch dadurch, dass eine klare Vorstellung von „Genug“ weitgehend verhindert, dass Rebound-Effekte entstehen, also Einsparungen in neue Verwertungen gesteckt werden. Die obigen Beispiele zeigen aber auch, dass die Einsparungen nicht immer von Dauer sind. Wenn Markt- und Produktentwicklungen die ökologischen Kenndaten der Maschinen und Fremdprodukte verschlechtern, steigen die Verbräuche auch bei Henkel wieder. Anreizsysteme und Regulierung lassen Unternehmen, die darauf keine Priorität legen, beim Ressourcenverbrauch immer noch zu „billig“ davonkommen – vor allem, wenn sie als Großverbraucher auch noch Ausnahmen genießen.

Zudem haben es kleine Unternehmen wie Henkel schwer, den Anlagenbauern überhaupt die relevanten Kenndaten zu entlocken. Ihnen würde helfen, wenn die Hersteller klare Informationspflichten hätten – oder zumindest mehr andere Unternehmen die Verbrauchsdaten aktiv nachfragten. Susanne Henkel verblüfft die Passivität der meisten Einkäufer:innen, da die Verbräuche schließlich auch die laufenden Kosten beeinflussen. Henkel selbst kann die eigenen Preise und Erträge dadurch stabil halten, dass sie diese Kosten vorausschauend im Zaum hält.

Sowieso sind absolute Verbesserungen auf einer aggregierten Ebene – also jenseits des proaktiven Einzelunternehmens – eine Frage der konsequenten politischen Rahmensetzung sowie davon abhängig, inwieweit es gelingt, gute Praktiken zu verbreiten und eine neue Erzählung jenseits des Wachstums zu schaffen.

Jana Gebauer forscht, spricht und schreibt unter dem Label „Die Wirtschaft der Anderen“ zu öko-solidarischen Zukünften jenseits des Wachstums. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Postwachstumskonzepten von Wirtschaftsakteuren in vielfältigen und solidarischen Ökonomien, insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und Akteuren der sogenannten alternative oder grassroots economies. Den wirtschaftlichen Fokus verknüpft Jana Gebauer mit gesellschaftlichen Debatten um Transformationen und Utopien sowie kollektivem Erzählen und Spekulieren. Jana Gebauer ist Fellow am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) sowie beim Next Economy Lab (NELA).